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Schokolade

United States of America – Relaunch!

Veröffentlicht in Gesellschaft, Politik | 20. Januar 2009 | 21:39:04 | Roland Müller

Inauguration Day. Nein, wir vergleichen das heutige Spektakel nicht mit den trockenen, distanzierten, betulichen und bemühten Ritualen heimischer demokratischer Tradition. Das wäre mehr als unfair. Was wir aber sehr wohl tun wollen, ist, einen vielleicht ungelenken Versuch zu unternehmen, zu schildern, wie die vergangenen Stundenauf uns gewirkt haben. Und auf gute Freunde jenseits des Atlantik, in der Bay Area, die intellektuell und politisch dem 44. Präsidenten nahe stehen…

Dass in allen maßgeblichen US-Buchhandlungen die Sonderplatzierungen in unmittelbarer Nähe des Eingangs unter der Last der Primär- und Sekundärliteratur zu Barack Obama fast in die hölzernen Knie gehen, wird keinen verwundern. Immerhin war diese Wahl keine wie jede andere. So wenig wie dieser Kandidat einer wie jeder andere war. Wie kaum ein Politiker vor ihm – vielleicht abgesehen vom frühen J.F.K., der allerdings aus ganz anderen Kreisen, nämlich aus dem alten Geld- und Machtadel der East Coast stammte – scheint dieser Barack Obama die charismatische Fähigkeit, die rhetorische Begabung und die notwendige Wahrhaftigkeit in sich zu vereinen, das ganze Amerika anzusprechen. All jene, die unter der Bush-Adminsitration auf die Verliererseite gestoßen worden waren. All jene, die die schleichende, aber skrupellos zielgerichtete Erodierung der in der Verfassung der USA niedergelegten Bürgerrechte und Werte erkannten und beklagten. All jene, denen der Weg, den Amerika unter George „Trouble You“ Bush genommen hatte, zutiefst zuwider war.

Aber auch all jene – und darin spiegelt sich die besondere integrative Begabung des neuen Präsidenten – die seiner Wahl durchaus distanziert und zweifelnd gegenüber standen. Wer seine 18-minütige Inaugurationsrede wie wir im Original gehört hat, wurde denn auch als Nichtmuttersprachler unwillkürlich in den Bann gezogen. Mehr als allein Ratio dies vielleicht geboten erscheinen lässt. Ein Effekt, der sich mit dem überstrapazierten Begriff „Charisma“ nicht ausreichend begründen lässt. Die Erklärung, die unsere Freunde in Oakland parat haben, ist insofern sehr einleuchtend: Dieser Barack Obama glaubt zutiefst an das, was er sagt und tut. Und das mag für unsereiner, die wir uns schon viel zu lange in sarkastischer Distanz zu Politik und Politikern eingeigelt haben – aus gutem Grund und leidiger Erfahrung – eine durchaus schmerzhafte Erfahrung sein. Politik und große Gefühle? Was für eine absurde Kombination, wenn man unter dem Eindruck der Generation Merkel steht.

Die Rede selbst? Eine sprachlich mitreißende wie inhaltlich brillante Mischung aus „Blood, Sweat and Tears“, Beschwörung der Gemeinsamkeit einer heterogenen Gesellschaft, der Gemeinsamkeit der ihr zugrunde liegenden Werte und allem, was alle miteinander verbindet. Eine große Rede. Eine beeindruckende Rede in einer krisengeschüttelten Zeit. Doch, ja, dieser Mann kann das schaffen, was kritische Medienvertreter, geschüttelt (nicht gerührt) vom Widerwillen ob dieses Übermaßes an Populismus, ein ums andere Mal als eigentlich nicht schulterbare Herkulesaufgabe einschätzen. Möglicherweise vergessend, welche Dynamik gerade in jenem Land, das irgendwann einmal angetreten war, die Entrechteten, die Frustrierten und die Hoffnungslosen des alten Europa aufzunehmen, eine Idee entwickeln kann, deren Zeit gekommen ist.

Ja, dieser 20. Januar 2009 war ein historischer Tag in der jüngeren Geschichte. Ein Tag, der einen Paradigmenwechsel markiert. Wie bedeutend dieser Tag war, werden Historiker erst in Jahren und im scharfsinnigen Rückblick zu analysieren vermögen. Aber so ist das eben mit dem „Mantel der Geschichte“…

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Eine Antwort zu “United States of America – Relaunch!”

  1. 20. Januar 2009 um 22:04:34 | Duesenschrieb» Blogarchiv » Inauguration Day sagt:

    […] Der Tag eines Paradigmenwechsels. Alles, was man sonst noch dazu sagen kann, habe ich gerade im Café Digital Magazin […]